Der Mythos der „Sozialen Marktwirtschaft“ als bourgeoises Herrschaftsinstrument

Eine kleine Einführung

Nach zwei Stunden Vorlesung über das Prinzip der Marktwirtschaft endete mein Volkswirtschaftsprofessor vor fast 40 Jahren mit den Worten: „ So jetzt wisst ihr mehr als 98% unserer Abgeordneten im Bundestag.“ Dieser Satz ist mir nie wieder aus dem Kopf gegangen und natürlich auch nicht diese 2 Stunden Vorlesung über Marktwirtschaft. Wenn ich heute also die Thesen der SPD lese, unter anderem der Verpflichtung zur „Sozialen Marktwirtschaft“ dann fällt mir immer mein Volkswirtschaftsprofessor ein.

Als erstes ist festzustellen, das der Begriff Marktwirtschaft mit einem Inhalt belegt ist, der zwar für vieles stehen, nur nicht für die Funktion und Rolle der Marktwirtschaft. Die Verknüpfung zwischen Kapitalismus und Marktwirtschaft ist den Köpfen derart verankert, das diese sofort den metaphysischen Reflex bedienen, wenn wir die Vergesellschaftung von Grund und Boden und der Produktionsmittel fordern. „Dann haben wir ja die Planwirtschaft“ rufen sofort alle verschreckt auf. Nun da muss ich antworten, nein, dann haben wir nur kein Privateigentum an Grund und Boden und Produktionsmittel, aber noch keine Planwirtschaft. Dies gehört aber eben zum Glaubensbekenntnis der Bourgeoisie, diesem metaphysischen Konstrukt ihrer Wirtschaftswissenschaften. Beginnen wir als erstes mit der sogenannten „Sozialen Marktwirtschaft“.

Die „soziale Marktwirtschaft“

Zuerst müssen wir feststellen, das es keine „Soziale Marktwirtschaft“ gibt. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes dachten nach den Erfahrungen des freien Marktes sie könnten die Marktwirtschaft zähmen. Sie fügten in das Grundgesetz den Artikel 14 ein. Einerseits sollte er das Privateigentum schützen, andererseits sollte er ermöglichen das Privateigentum bei Missbrauch einziehen zu können.

Doch dieser Artikel wurde sehr schnell wieder vergessen und wird nur angewendet, wenn es um Infrastrukturmaßnahmen geht (Enteignung von Grundstücken z.B. wegen Autobahnen) oder um privatwirtschaftliche Interessen (z.B. Enteignung zur Ausbeutung von Kohlevorkommen). Damit dachten sie Rahmenbedingungen erstellt zu haben, die die Erfahrungen, die zum Faschismus geführt haben oder des autoritären Staatskommunismus ein Gegengewicht gesetzt zu haben. Sie glaubten damit das „Monster Markt“ gezähmt zu haben.

Des weiteren wurde die Koalitionsfreiheit eingeführt, Mitbestimmung und das Betriebsverfassungsgesetz etc. etc. Alle diesen Möglichkeiten wurden dann unter dem Begriff „Soziale Marktwirtschaft“ verkauft.

GG Art. 14
(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.

(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.
(3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.

Der Markt ist aber von seiner Natur aus weder sozial noch asozial. Der Markt ist auch kein selbständiges Wesen, das Richtungen oder Entscheidungen vorgibt. Der Markt kann weder die Intentionen der Anbieterseite, noch die Intentionen der Nachfrageseite erkennen, er kann nichts bewerten. Der Markt ist ein Informations- und Verteilungsmechanismus. Woher kommt dann aber dieser Wust an Vorstellungen über die Marktwirtschaft z.B. das sie bei uns eben sozial wäre oder wie es die Grünen jetzt fordern ökologisch.

Der Begriff „Soziale Marktwirtschaft“ oder „Ökologische Marktwirtschaft“ ist ein semantisches Konstrukt, das dem Markt ein eigenständiges soziales bzw. auch noch ein ökologisches Handeln unterstellt. Warum? Nun wenn der Markt selber sozial oder ökologisch wäre, wozu benötige ich also den Sozialstaat oder ökologische Gesetzgebung. Der Begriff „Soziale Marktwirtschaft“ ist von Anfang an, ein Kampfbegriff gegen den Sozialstaat gewesen.

Was sonst noch alles in die „Soziale Marktwirtschaft“ hinein interpretiert wird, werde ich in weiteren Artikeln beschreiben. Deshalb benutze ich hier ein Instrument, welches mein Volkswirtschaftsprofessor als „Reduktion der Komplexität“ bezeichnete. Ich gehe also jetzt nicht auf jede Nebelkerze der interessierten Kreise und üblichen Verdächtigen ( z.B. INSM ) ein, sondern ich reduziere mich auf die Marktwirtschaft selber, also auf das Konstrukt, das eben leider nicht so funktioniert, wie der Markt Mittwochs und Samstags in der Stadt.

Der Markt ist ein Informations- und Verteilungsmechanismus, ein einfaches Werkzeug ohne Eigeninteressen, ohne Eigeninitiative und vor allem ohne Macht und es ist und das müssen wir immer wieder deutlich machen, es ist kein Subjekt, kein eigenständig handelndes Wesen. Doch genau das wird uns jeden Tag suggeriert, wenn die Märkte auf irgendetwas reagieren.

Es sind aber Kapitalinteressen und Machtinteressen die dem Markt diktieren und ihn manipulieren. Er selber kann nichts äußern, er kann nur missbraucht werden. Damit kommen wir also zu den Marktteilnehmern, die also dieses Instrument benutzen.

Der Markt hat grundsätzlich zwei Teilnehmer. Die eine Seite ist die Angebotsseite (Produzenten) und die andere die Nachfrageseite (Konsumenten). Achten beide Seiten das Gemeinwohl als Grundlage ihres Handelns, wird der Markt funktionieren, denn das Instrument wird für die Gemeinschaft genutzt. Früher wurde die Grundlage ökonomischen Handelns folgendermaßen definiert, es muss „Recht und Billig“ sein muss. Das bedeutet beiden Seiten muss genüge getan werden.

Gehen wir also mal über unseren Markt und schauen mal, was da passiert. Überall finden wir Marktstände auf denen alle möglichen Waren und Dienstleistungen feilgeboten werden. Hinter den Ständen die Produzenten, vor den Standen die Konsumenten. Es wird geschaut, verglichen probiert gehandelt. Der Handel unterliegt den Grundsatz des Gemeinwohls, alles muss Recht und Billig sein.

Doch wir haben auch schwarze Schafe auf unserem Markt, professionelle Betrüger. Ein Metzger der sein Gammelfleisch mit Rotebeetesaft wieder schön von grün in rot gefärbt hat, der Bäcker dessen Brötchen mehr Luft als Teig enthalten, der Hökerer der billige Ware für teure ausgibt.

Kann der Markt das wissen, kann der Markt darauf reagieren. Nein, natürlich nicht, denn er ist keine Wesenheit. Dafür gibt es den Marktmeister und es gibt die Marktordnung, die beschlossen wurde um Betrug auszuschließen. Es wurde also eine Regel von außen eingeführt, es wurden Spielregeln aufgestellt, nach denen die Marktteilnehmer spielen müssen. Ändert das das Prinzip des Marktes? Nein ! Der Markt bleibt immer noch der Gleiche.

Was aber passiert, wenn jemand mit bösem Willen und krimineller Energie, nicht nur um zu betrügen handelt, sondern um Marktteilnehmer zu vernichten. Statt dem Gemeinwohl „Recht und Billig“ will er sich selber bereichern und Macht bekommen. Da hat ein Bauer nämlich eine Idee! Auf dem Markt kann er jede Woche nur ein Schwein verkaufen, so wie die anderen drei Bauern. Alle vier Bauern können also 4 Schweine verkaufen. Der Preis den sie dafür bekommen ist Recht und Billig, festgelegt vom Marktmeister, der darauf achtet das jeder etwas kaufen kann und der Bauer vom Ertrag leben kann. Unser Bauer beginnt nun mehr Schweine zu züchten als er auf dem Markt eigentlich absetzen kann und darf. Da er auf dem Markt mit seinen Regeln die Preise nicht drücken kann, macht er seinen Stand vor der Stadt auf und bietet seine vier Schweine zu Billigpreisen an. Da das Marktrecht an den Stadtmauern endet, kann er das auch machen. Die Leute können ja nur eine bestimmte Anzahl an Schweinen verbrauchen, also diese vier Schweine. Nun wird die Gier angezettelt. Sie kaufen das billige Schwein. Die Bauern die auf dem Markt verkaufen , kann aber von seinem Ertrag nichts mehr abgegeben, sie halten sich ja an die Regeln und bleiben so auf ihren Schweinen sitzen. Der Bauer, der sich dem Markt entzogen hat, macht er solange weiter, bis er der einzige ist der Schweine anbietet, der erste Monopolist und nun treibt er die Preise in die Höhe. Die Höfe der anderen Schweinbauern kauft er auf und macht aus den freien Bauern Knechte.

Auch ein Schuhmacher hat eine Idee. Statt für jeden Kunden seinen Leisten vorrätig zu haben, koppelt er sich aus dem Marktgeschehen aus, entflieht den Rechten und Pflichten des Marktes und produziert seine Schuhe vor den Toren der Stadt im marktrechtsfreien Raum. Er stellt auch seine Schuhe nicht mehr selber her, nein er hat Menschen eingestellt, die gar keine Schuhmacher mehr sind, so wie es die Marktregeln in der Stadt fordern. Es sind keine Gesellen mehr, sondern einfache Arbeitskräfte die angelernt werden, der eine macht nur Sohlen, der andere schneidet nur Leder zurecht, Arbeitskräfte die nur eine einzige Tätigkeit erlernen müssen. Der Schuh wird billiger, es werden mehr Schuhe zur gleichen Zeit produziert und hier stellt es den Schuhmacher der nach den Regeln des Marktes produziert vor ein Problem, denn er kann seine Schuhe eben nicht schnell zusammen schustern, während er ein Paar Schuhe herstellt, werden in der Manufaktur in der gleichen Zeit 100 Schuhe hergestellt. Der Schuster, der Handwerker, kommt in die Situation das er sich seine eigenen Produkte nicht mehr leisten kann.

Wir sehen also, das die politische Entscheidung der Gemeinwohlökonomie dadurch ausgehebelt wurde, das ein einziger Egoist alles zum Zusammenbruch bringt. Die Politik hat nicht reagiert, die Stadt hat nicht reagiert. Jemand hat die Spielregeln gebrochen. Der Markt selber kann überhaupt nicht reagieren, denn er übermittelt ja nur Informationen und Waren. Wir stellen also fest, wenn Spielregeln nicht befolgt werden, wenn der Staat nicht reagiert und wenn das Gemeinwohlprinzip, dem Konkurrenzprinzip unterworfen wird, können die Akteure auf der Angebotsseite agieren wie sie wollen.

Diese kleinen Beispiel soll nur deutlich machen, das es immer die Entscheidung der Politik ist ob es auf dem Markt mit rechten Dingen vor sich geht. Haben wir einen Sozialstaat, dann haben wir einen Sozialstaat und Marktwirtschaft. Haben wir keinen Sozialstaat, haben wir trotzdem eine Marktwirtschaft. Die Marktwirtschaft selber ist davon völlig unberührt. Damit ist es Aufgabe der Linken in der jetzigen Situation den Sozialstaat bzw. am Gemeinwohl orientiertes Handeln in den Vordergrund zu rücken und sich nicht auf einen semantischen Kampfbegriff á la „Soziale Marktwirtschaft“ einzulassen. Die Politik muss das Primat sein und die muss bestimmen. Die „Initiative neue soziale Marktwirtschaft“ ist ja genau das Gegenteil dessen, was im Begriff steht. Sie impliziert ja wieder das der Markt an sich sozial ist und was äußerst perfide erscheint, sie impliziert das der Sozialstaat, also staatliches Handeln, die soziale Marktwirtschaft kaputt macht.

Der Staat muss also immer die Angebotsseite im Auge behalten um das Gemeinwohlprinzip durchzusetzen. Der Staat bestimmt also die Spielregeln. Dieses müssen wir aber den Büger*innen wieder ins Bewusstsein rufen. Ohne staatliche Eingriffe, bzw. staatliches Regelwerk, wäre der Himmel über der Ruhr immer noch grau. Die Automobilindustrie hat es geschafft, dem Staat die Spielregeln vorzuschreiben, nach denen sie agieren möchte. Und wenn das passiert, wenn die Angebotsseite also die Spielregeln selber schreibt, dann ist Lug und Betrug Tür und Tor geöffnet.

So ist das auch in der Energiewirtschaft, auch hier werden und wurden die Spielregeln von der Industrie selber aufgestellt und nicht vom Staat. Wir haben also das Problem, das die Angebotsseite, die privatwirtschaftlich organisiert ist immer versuchen wird, den Markt auszuhebeln, das liegt in der Natur des Privatbesitzes von Grund und Boden und Produktionsmitteln.

Nehmen wir dazu ein weiteres Beispiel. Wir wissen das in Deutschland gentechnisch veränderte Lebensmittel keine Chance haben, genauso wenig wie die Produkte der chemischen Industrie, die sich in Amerika als Lebensmittelindustrie ausgibt und gerne den deutschen Markt erobern möchte, wie mit dem Chlorhühnchen.

Deshalb versucht die Angebotsseite durch zu setzen, das sie der Informationspflicht (Information ein wesentlicher Bestandteil der Marktwirtschaft) nicht nachkommen müssen.

Wenn wir uns also die Aktivitäten der Angebotsseite anschauen, stellen wir also fest, das sie sich als Gegner der Marktwirtschaft darstellen. Wir stellen fest das egoistisches Handeln und das Prinzip des Konkurrenzkampfes (semantisch entschärft durch dem Begriff „Wettbewerb“) eine Marktwirtschaft überhaupt nicht ermöglichen kann. Auf diesen Punkt werde ich in einem weiteren Beitrag eingehen.

Die Verteidiger der „Sozialen Marktwirtschaft“ werden immer behaupten das staatliche Vorgaben eben in diesem Begriff mit eingebunden seien. Nun wenn dies so gemeint gewesen wäre, warum heißt es dann nicht sozialstaatliche Marktwirtschaft oder staatlich regulierte Marktwirtschaft. Nun dann würde ja der andere Argumentationsstrang staatliches Handeln gefährdet die „Soziale Marktwirtschaft“ und der Markt handelt letztlich effektiver als eine Staatsbürokratie sofort torpedieren.

Der Begriff „Soziale Marktwirtschaft“ soll eines verschleiern, die Macht der privaten Produzent. Er soll vorgaukeln, dieses Instrument wäre in der Lage eigenständig für Alle „Wohlstand“ zu schaffen. Doch darin liegt ein gewaltiger Trugschluss. Denn die Rolle des Konsumenten wird in diesem Konstrukt überhaupt nicht berücksichtigt. Denn während der Privateigentümer an Grund und Boden und Produktionsmitteln eine einzige Rolle in diesem Konstrukt spielt, so ist der Konsument ein Zwitterwesen, denn er ist nicht nur Konsument, sondern auch Produzent, allerdings ohne Besitz an Grund und Boden oder Produktionsmitteln und ohne Kapital.

Und genau diese Zwitterrolle ist die Stärke und Macht der Bourgeoisie. Sie bestimmt was produziert wird, was also Arbeitsplätze schafft, der anhängig Beschäftigte mag andere Bedürfnisse haben, die er aber nicht umsetzen kann, da er in der Produktion nichts zu sagen hat. Er muss also konsumieren was ihm vorgesetzt wird, um sich seinen eigenen Arbeitsplatz zu sicher. Somit werden staatliche Eingriffe auch immer von der Bourgeoisie abgewehrt werden. Wenn Ihr das beschließt, entlassen wir einfach die Menschen. Wenn Ihr Gewerkschaften dies und jenes fordert, dann machen wir eben zu.

Wir sehen also, während der Produzent alle Macht in seinen Händen hält, hat der abhängig Beschäftigte in seiner Zwitterrolle als rechtloser Produzent auf der einen Seite und Konsument auf der anderen Seite in dieser Auseinandersetzung keine Chance.

Fazit: Marktwirtschaft kann im Kapitalismus und in einer Wirtschaft die auf Konkurrenz ausgerichtet ist nicht existieren. Letztlich wird durch die Vernichtung der Konkurrenz eine Monopolstellung erreicht. Dies ist im Kapitalismus nicht zu verhindern. Marktwirtschaft funktioniert nur in einer Gemeinwirtschaft, die Wohlstand für alle als Antrieb nutzt. Es kommt darauf an, wie ich die Informationen des Marktes verarbeite.

Dies werden ich in einem der folgenden Aufsätze analysieren, wenn wir uns mit den ganzen Mythen befassen, was angeblich alles zur Marktwirtschaft gehört und wie der Markt in einem anderen System funktionieren würde.